Der Städtetag NRW in Neuss. Eine persönliche Nachlese.

Die Delegiertenversammlungen des Städtetages sind immer ein Ereignis, an dem ich sehr gerne teilnehme. Zwar sind die Positionen, die dort vertreten und vorgetragen werden, inhaltlich nicht unbedingt überraschend, aber die Veranstaltungen sind für mich immer eine gute Gelegenheit, politische Weggefährt*innen aus dem RGRE, dem Städtetag und anderen Gremien wiederzusehen. Manchmal fühlt man sich wie in einer kleinen Familie und zu Recht sprach Thomas Kufen, Oberbürgermeister der Stadt Essen und zum Zeitpunkt seiner Eröffnungsrede noch Vorsitzender des Städtetages NRW, von einem Klassentreffen. Er vermeide den Begriff Familientreffen, weil es ja dort immer Streit gäbe.

Und gestritten wurde an den zwei halben Tagen vom 7. bis 8. Mai in der Neusser Stadthalle wahrlich nicht. Dafür ist der Städtetag zu routiniert, als dass die Kompromissmaschine Ecken und Kanten zulassen würde. Schließlich soll am Ende eine gemeinsame Erklärung stehen, hinter der sich alle Parteien versammeln können.

Harald Schwenk, Grüne Düsseldorf

Thorsten Hansen, Grüne Krefeld und Lina Furch, Deutscher Städtetag

Und so war die Vorbereitung der so genannten Neusser Erklärung der wichtigste Tagesordnungspunkt des ersten Tages. Sie stand, genau wie das komplette Konferenzprogramm, unter dem Motto: „Wir.Machen.Zukunft“. Traditionell beginnt die Sitzung mit den Vorbesprechungen der Fraktionen und jedes Jahr kann man das gleiche Schauspiel beobachten: Die Delegierten, die zum ersten Mal an der Konferenz teilnehmen, sind völlig verblüfft, dass die Erklärungen und Resolutionen bereits vorformuliert sind und man an den Texten eigentlich nichts mehr ändern kann.

Das hinderte die Delegierten natürlich nicht daran, trotzdem Vorschläge, Kommentare und bohrende Fragen an den Vorstand zu richten. Der Vorstand wand sich ein wenig und erklärte in Schleifen, dass das alles schon seine Richtigkeit habe und dass man natürlich mit den anderen Fraktionsvorständen intensiv diskutiert habe und dass das jetzt das Ergebnis sei, von dem sich der Vorstand selbst mehr gewünscht habe und dass das Verfahren leider so sei, wie es sich jetzt darstelle.  Allmählich gaben die Delegierten ihren Widerstand auf, denn die Zeit der Vorbesprechung war dann auch schon fast vorbei und eigentlich brauchten alle unbedingt noch einen Kaffee, bevor es zu den Exkursionen ging. Der Vorstand versprach, das eine oder andere noch „mitzunehmen“, wobei nicht klar war, ob es noch diskutiert werden würde oder im Papierkorb landet.

In der Tat war das Verfahren wirklich nicht befriedigend. Die Neusser Erklärung war zwar inhaltlich völlig richtig, aber nicht wirklich spektakulär. Sie enthält bekannte Forderungen zu den Themen Europa, Wohnungspolitik, Bildung, Integration, Mobilität, Klimaschutz und Klimaanpassung. Auch die angemessene Finanzausstattung der Kommunen wird wie bei jedem Treffen angesprochen – ein Dauerbrenner. Die Frage ist nur: Wie kommt so ein Entwurf zustande?

Hier erweist sich der Städtetag als Black Box und ich kann nur spekulieren, wie die Forderungen ausgehandelt werden. Die wichtigsten Gremien als Diskussionsplattformen sind die Ausschüsse, in denen sich die Dezernent*innen und Amtsleiter*innen regelmäßig treffen. Wann sie tagen und was besprochen wird, erfährt die Öffentlichkeit nicht. Auf den Internetseiten des Städtetages gibt es dafür einen geschlossenen Bereich, zu dem nur die Verwaltung Zugang hat. Die Politik bleibt außen vor und weiß nicht, wer wann was in welchem Gremium gesagt hat. Und stimmen die dort vertretenen Positionen mit den Beschlüssen des jeweiligen Stadtrates überein? Melden sich alle zu Wort, wird heftig diskutiert und um Entscheidungen gerungen? Oder nicken alle nur ab?

Wir erfahren es nicht und meine eigenen Versuche, wenigstens für eine Terminübersicht einen Login zu bekommen, scheiterten kläglich. Auf Nachfrage sagte man mir, man verstehe mich und könne es nachvollziehen, aber leider leider…

Nach der Pause ging es weiter im Programm mit den Exkursionen. Zwölf standen zur Auswahl und ich entschied mich für das Thema „Energiesparen in Gebäuden mit künstlicher Intelligenz“. Der Vortrag war dann eine Mischung aus Verkaufsveranstaltung und Deep Dive in die Heizungstechnik. Aber insgesamt hat es sich gelohnt, denn die Ergebnisse waren beeindruckend.

Der Neusser Bauverein, das Pendant zur Städtischen Wohnungsbaugesellschaft Düsseldorf, hatte sich Gedanken gemacht, wie der Bestand von 7.500 Wohneinheiten energetisch saniert werden kann. Keine leichte Aufgabe, denn Sanierungen im Gebäudebereich sind extrem kostenintensiv und in der Masse für einzelne Kommunen finanziell nicht zu stemmen. Deshalb kam man auf die Idee, mit der Firma Paul Tech zusammenzuarbeiten, die sich auf den hydraulischen Abgleich mit künstlicher Intelligenz spezialisiert hat.

Ziel des Verfahrens ist es, die Spreizung zwischen Vor- und Rücklauf für Warmwasser und Heizung möglichst gering zu halten. Das heißt, in den einzelnen Zuläufen der jeweiligen Heizstränge gibt es Temperaturunterschiede, die bei manuell eingestellten Ventilen den Nachteil haben, dass das zentral bereitgestellte Wasser viel höher erhitzt werden muss, als es eigentlich nötig wäre – wenn man es intelligent verteilen könnte. Und genau das übernimmt jetzt die KI. Zwar gibt es Einschränkungen, weil die Warmwasseraufbereitung wegen der Salmonellengefahr eine bestimmte Temperatur einhalten muss und sich das Verfahren erst bei vielen Leitungssträngen mit einer gewissen Länge lohnt, also ab 20 Wohneinheiten, aber dann sind die Einsparungen sehr groß. 20 Prozent CO2-Einsparung sind oft drin, manchmal sogar bis zu 40 Prozent. Und weil der Neusser Bauverein einen Wartungsvertrag mit der Paul Tech abgeschlossen hat, können die Kosten von 7,50 € pro Monat und Haushalt auf die Mieter*innen umgelegt werden. Trotzdem profitieren alle. Für die Stadt Neuss ist es anscheinend kostenneutral, Paul Tech verdient über die Wartungsverträge und die Mieter*innen sparen insgesamt trotz der Umlage von 90 Euro im Jahr. Also eine Win-Win-Situation für alle und vielleicht sollte man in Düsseldorf da noch einmal genauer hinschauen.

Am zweiten Tag wurden vier Foren angeboten:

  • A: Netze, Pumpen und Moneten –  so gelingt die Wärmewende in den Städten
  • B: Großbaustelle Bildung – Chancengleichheit von Anfang an?
  • C: Richtungswahl in Europa – werden Rechtspopulisten die Zukunft bestimmen?
  • D: Kommunales Bauen und das Haushaltsrecht – neue Allianz für mehr Nachhaltigkeit?

Hier fiel mir die Auswahl nicht leicht, da wirklich alle Themen hochaktuell waren. Im Forum „Richtungswahl in Europa – werden Rechtspopulisten die Zukunft bestimmen?“ diskutierten dann die Podiumsteilnehmer*innen Markus Lewe, Präsident des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeister der Stadt Münster, Rainer Steffens, Leiter der Landesvertretung NRW bei der Europäischen Union und Dörte Schall, Stadtdirektorin der Stadt Mönchengladbach unter der sehr energischen und klugen Moderation von Judith Schulte-Loh, Journalistin, über Ursachen und Lösungen des Rechtsrucks in Europa.

Allen war die Sorge über den Rechtspopulismus und die Skrupellosigkeit der Autokraten anzumerken. Was mögliche Allianzen und der Rechtsruck für die europäischen Institutionen wie den Europäischen Rat“, den Rat der Europäischen Union“, das Parlament und die Kommission bedeuten könnten, wusste noch niemand abschätzen. Natürlich wurde auch die Rolle der sozialen Medien angesprochen, die durch Desinformationskampagnen entsprechende Tendenzen verstärken würden. Einhelliges Fazit der Diskussion war, dass man dem entschieden entgegentreten müsse. Allerdings schienen alle etwas ratlos, was genau zu tun sei. Fairerweise muss man dazu sagen, dass es noch keine Patentrezepte gibt, sonst wären sie schon längst in der Anwendung. Umso wichtiger ist es, dass wir alle im Gespräch bleiben und die demokratische Brandmauer verteidigen. Das ist zumindest alternativlos.

Einen Aufreger gab es dann beim Punkt Vorstandswahlen. Ein Teil des Vorstandes wurde turnusgemäß neu gewählt und es standen insgesamt zehn Personen, allesamt Männer, zur Wahl. Nur wenige glaubten da an einen Zufall. Beim Thema „Frauen in Führungspositionen“ bewegt sich einfach zu wenig und das hatte ich auch schon beim Städtetag in Köln und in Erfurt als Kritik schon wahrgenommen. Das ist nicht mehr zeitgemäß und einfach peinlich.

Es gibt noch viel zu tun. Packen wir’s an.

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