Wieder in Chemnitz – mein vierter Besuch. Wie immer ist die Anreise eine Herausforderung. Nicht nur, dass Chemnitz vom ICE-Netz abgehängt ist, auch die notorischen Probleme der Bahn – von der fehlenden Klimaanlage ganz zu schweigen – verzögern die Ankunft um zwei Stunden. Obwohl Düsseldorf und Chemnitz Luftlinie gar nicht so weit auseinander liegen, dauerte die Fahrt über neun Stunden. Da kann man nicht mal eben kurz vorbeischauen.
Chemnitz ist seit 1988 Partnerstadt Düsseldorfs und hat gerade deshalb mein besonderes Interesse geweckt. Die Stadt am Rande des Erzgebirges ist nicht unbedingt als touristischer Hotspot in Deutschland bekannt und vielleicht hätte es mich nie dorthin verschlagen, wenn es nicht den Austausch mit Politik und Verwaltung zwischen diesen beiden Städten gegeben hätte. Aber Chemnitz hat seine eigenen Vorzüge und deshalb habe ich mich auf diesen Besuch besonders gefreut.
Diesmal stand jedoch die Landtagswahl in Sachsen im Vordergrund. Die Prognosen sehen für die demokratischen Parteien alles andere als rosig aus. FDP und Linke werden den Einzug in den Landtag wohl nicht schaffen. Für SPD und Grüne sind die jeweils 6 Prozent nicht gerade eine sichere Bank. Das kann nach oben und unten kräftig schwanken und so könnten beide auch an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Kaum vorstellbar, wenn AfD, CDU und BSW am 1. September unter sich blieben. Und ausgerechnet eine nationalistische Partei, die nicht nur die EU abschaffen will, offen ausländerfeindlich ist und „nicht erwünschte“ Bürger*innen ausweisen will, soll nicht nur die Geschicke des Landes bestimmen, sondern auch den Ministerpräsidenten stellen? Da darf man nicht am Rande stehen und den Entwicklungen nur zuschauen. Dem Vormarsch der Rechten muss etwas entgegengesetzt werden.
Partnerschaftshilfe der Düsseldorfer Grünen
Also: Wahlkampfhilfe war jetzt dringend erforderlich. Natürlich fehlt es den Grünen in Chemnitz nicht an Motivation, aber der Kreisverband und damit die Zahl der ehrenamtlichen Helfer*innen ist eben doch etwas kleiner. Was lag da näher, als mit einer Delegation aus Düsseldorf in die Partnerstadt zu fahren, um dort beim Wahlkampfstand, Aufhängen von Plakaten oder Verteilen von Flyern zu helfen. Zumal seit kurzem auch eine offizielle Partnerschaft zwischen den beiden Kreisverbänden existiert. Und die unprätentiöse Hilfe wurde gerne angenommen. Und nebenbei konnte man sich natürlich wunderbar über Politik austauschen.


Allerdings muss man immer aufpassen, dass man in den Gesprächen nicht automatisch schon nach einer Minute bei den Themen Migration und AfD landet. Es gäbe in allen Politikfeldern viel zu besprechen, aber auf der anderen Seite lässt sich das wohl nicht vermeiden. Die Erfolge rechtspopulistischer Kräfte überlagern alle rationalen Diskurse. Dazu trägt natürlich auch die Berichterstattung in den Medien bei. Viel zu oft wird der sogenannte Osten in einem Atemzug mit den Begriffen „Problem“, „rechtslastig“, „demokratiemüde“ etc. genannt. Kollokation nennen das die Linguisten.
Auch die bei der letzten Europawahl blau eingefärbten Bundesländer suggerieren eine Dominanz der AfD. Dabei hat eine deutliche Mehrheit nicht für diese Partei gestimmt. Allerdings ist festzustellen, dass der Ton und die Umgangsformen im Chemnitzer Stadtrat deutlich rauer geworden sind. Die Verwaltung wird teilweise als Lumpenpack und Gesindel beschimpft und es wird damit gedroht, die Verwaltung nach der Wahl zu „säubern“. Das ist die Sprache der Nazis. In Düsseldorf unvorstellbar.
Mehr als eine Industriestadt
Neben dem Wahlkampf galt es, Chemnitz weiter zu erkunden. So viel Zeit musste sein. Schließlich war ich das letzte Mal vor sieben Jahren in der Stadt. Zusammen mit Oberbürgermeister Thomas Geisel war ich Teil der Delegation, die von der damaligen Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig eingeladen worden war. Der Termin war bewusst auf den Tag des Chemnitzer Marathons gelegt worden. Die Teilnahme war für mich Pflicht.

In gewisser Weise sehen alle Städte ja alle gleich aus, weil man überall die selben Marken im Einzelhandel findet und die Lebensmodelle – nicht aber die Lebensbedingungen – durch die Medienkanäle weitgehend angeglichen werden. Das führt dann manchmal dazu, dass lokale Besonderheiten nach und nach verschwinden. Jedenfalls habe ich als „Westler“ die Welt, also die DDR, die ich über die Literatur von Brigitte Reimann, Maxie Wander, Irmtraud Morgner, Christa Wolf und Reiner Kunze „kennengelernt“ habe, nicht wiedererkannt. Geblieben sind die breiten Straßen, die in der Frühzeit der DDR angelegt wurden, um die Arbeiterstadt mit Aufmärschen zu beglücken.
Beeindruckend ist das viele Grün in der Stadt. Der Schlossteich und der Stadtwald sind wahre Oasen für Spaziergänger und Jogger mitten in der Stadt. Und Chemnitz hat noch Potenzial für mehr. Während in Düsseldorf der Wohnungsdruck hoch ist und die Gefahr besteht, dass immer mehr versiegelt wird, ist in Chemnitz genau das Gegenteil der Fall. Weil es hier mehr Leerstand und damit viel mehr Platz gibt, könnten die Chancen für eine intensivere Begrünung und die Schaffung von Grünflächen genutzt werden. Der naturnahe Ausbau des Flusses Chemnitz, von dem die Stadt ihren Namen hat, wäre so eine tolle Möglichkeit, um den Bürger*innen, aber auch den Besucher*innen mehr Aufenthaltsqualität zu bieten. Das sieht auch die Chemnitzer Parteikollegin so: Sie mag die Stadt auch deshalb so sehr, weil hier noch nicht alles fertig sei und man noch unheimlich viel gestalten könne.
Die Entwicklung von Chemnitz bleibt spannend und das Standortmarketing versucht nach Kräften, die positiven Seiten und Besonderheiten der Stadt herauszustellen. Das reicht vom zugegebenermaßen etwas kitschigen „I ♥ C“ über das Kunstprojekt „NEW ECOLOGIES“ bis hin zum „Steinernen Wald“ im Naturkundemuseum. Hier wird darauf hingewiesen, dass Chemnitz einst am Äquator lag, was nicht gelogen ist, aber schon rund 290 Millionen Jahre zurückliegt. Der durch einen Vulkanausbruch versteinerte Wald zeugt noch heute davon.
Sagen Sie den Leuten, dass es auch hier Gutes gibt.
Aber auch im Stadtbild von Chemnitz hat sich seit 2017 einiges verändert. Auffällig sind die vielen Menschen mit Migrationshintergrund, die in der Innenstadt sehr präsent sind. Auch einige kleine Läden mit syrischen und türkischen Lebensmitteln sind hier und da zu sehen. In Düsseldorf normal, in Chemnitz wird es bald auch so sein. Bis dahin heißt es: Wir müssen in Kontakt bleiben, wir müssen reden und immer interessiert bleiben.
Am letzten Tag hatte ich ein schönes Gespräch mit einem älteren Ehepaar aus Chemnitz. Nachdem wir über die schönen Ecken und Erlebnismöglichkeiten in dieser Stadt gesprochen hatten, waren sie überrascht über das ehrliche Interesse und sagten mir zum Schluss: „Sagen Sie den Leuten, dass es auch hier Gutes gibt“. Das werde ich tun. Versprochen.




